Portal e.V.: Wann genau wurde denn das Filmfest aus der Taufe gehoben?
Andrej Krabbe: Im Frühjahr 1989 gab es erstmals das Filmfest Dresden-Süd. Jörg Polenz war damals beim Stadtbezirkskabinett für Kulturarbeit in Dresden-Süd angestellter Mitarbeiter. Er kam frisch von der Clubhausleiterschule, war dann eine Zeit erwerbslos und begann dann mit seiner Arbeit im Kulturkabinett. Ich war damals bereits studierter Betriebsingenieur und als Stanzer im Sachsenwerk Dresden angestellt. Jörg und ich, wir kennen uns bereits aus der Schulzeit und sind Freunde geworden. Er hatte die Idee mit einem Festival und fragte mich, ob ich Lust hätte mitzumachen. Mich begeisterte diese Idee und ich sagte spontan zu. Es wurde dann doch eine größere Gruppe von ungefähr zehn Leuten, die das Filmfest Dresden-Süd 1989 organisierten. Jörg hatte einige Vorteile durch die Arbeit im Kulturkabinett. Er kannte viele Institutionen und wollte sich mit dieser Idee in seinem Kulturkabinett auch etwas mehr einbringen. Es gab zu dieser Zeit einige sowjetische und ungarische Filme, die verboten waren. Durch den Rückhalt beim Kabinett konnten wir dann endlich das Filmfest eröffnen, obwohl es zwei Wochen vorher noch erheblichen Stress gab. Es kam nochmal eine Weisung, bestimmte Filme nicht zu zeigen.
Portal e.V.: Was waren das für Filme die nicht gezeigt werden durften damals?
Andrej Krabbe: Die üblichen Perestroika-Filme.
Jörg Polenz: Das waren Filme wie der ältere ungarische Film „Das fünfte Siegel“ Krabbe: Oder „Der Mann aus Eisen“. Filme, die in Polen gezeigt wurden. Jörg hatte ja den Kontakt zu polnischen Kulturinstituten, die uns Filme zur Verfügung stellen wollten. Da ja aber offiziell die DDR die Insel der einzig Richtigen war, kamen das Verbot und die Weisung aus Berlin, derartiges Filmmaterial nicht zu zeigen. An westliche Filme hatten wir sowieso nicht gedacht, wir kamen ja nicht an solches Filmmaterial ran in dieser Zeit. Man konnte sich zwar an den Progress-Filmverleih wenden, doch durch die Verbote erübrigte sich dieser Weg.
Portal e.V.: War das Filmfest damals eine öffentliche Veranstaltung und welche Kinos waren im Verbund?
Jörg Polenz: Das Kino Reick, das Olympia-Kino Dresden, der Hörsaal der TU Dresden. Es wurden dann noch andere Veranstaltungen geplant, auch ein wenig multikulturell, wie z. B. ein Konzert mit den „Freunden der Italienischen Oper“. Oksana Bulgakowa war damals eingeladen zu Diskussions-runden über die Lage in der DDR. Man spürte förmlich, dass das Land am Ende war. Wir wollten mit unserem Filmfestival alles so bißchen auf ein anderes Gleis bringen. Neben Animations- und Kurzspielfilmen wollten wir auch Dokumentationen und Experimental-filme den Weg auf der Leinwand ermöglichen.
Portal e.V.: Gab es viele Konflikte bei der Organisation des Festivals?
Jörg Polenz: Es kam ja aus den Institutionen heraus. Die Russen, Ungarn und Polen waren sehr interessiert daran, mit uns gemeinsam etwas zu machen. Es gab damals so eingefahrene Gleise. „Wenn wir ein Werbeplakat drucken wollten, musste erst die Hauptverwaltung des MFS ihre Zustimmung geben… Also das MFS hat sich zwar auch um sowas gekümmert, aber diesen Job führte offiziell jemand anders aus – die Stadtverwaltung wohl. Das haben wir alles weggelassen und haben einfach diese ganzen Ebenen übergangen. Es gab damals wenig Mitarbeiter im Kulturkabinett, eine Sekretärin, einen Chef und mich als Mitarbeiter und Initiator des Festivals. Wir konnten also so ein bisschen schalten und walten wie wir wollten. Dadurch, dass viele Filme verboten waren, stellte sich die Zusammenarbeit aber als schwierig dar, zumal ja dann die Grenzöffnung und die Wiedervereinigung Deutschlands immer näher rückten und es dann erst einmal mit der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft zu Ende war. Insgesamt war das schon eine problematische und hektische Zeit, da wir immer wieder gehindert wurden in unserer Arbeit durch neue Weisungen und Verbote. Das nervte uns sehr und behinderte letztendlich beim Organisieren von kulturellen Veranstaltungen. Wir überlegten immer, ob wir das Filmfest nicht absagen sollten. Unsere Meinung war aber, wir wollen es nutzen in der Hoffnung auf mögliche Diskussionen, die dann entstehen könnten. So ist es auch gekommen, die Themen explodierten geradezu und wurden dann auch öffentlich diskutiert.
Andrej Krabbe: Ich kannte früher jemanden, der durfte nach West-Berlin und hatte Kontakte zum „Spiegel“, da habe ich ihm auch Sachen mitgegeben in der Hoffnung das etwas passiert. Wir haben uns dann entschieden das Festival doch stattfinden zu lassen entschieden und das war auch gut so. Die Resonanz und das Feedback danach war sehr groß und lösten auch die von uns gewünschten Diskussionen aus.
Portal e.V.: Was war Ihre ganz persönliche Motivation dafür, dieses Filmfestival ins Leben zu rufen und stattfinden zu lassen?
Jörg Polenz: Auf jeden Fall sind wir beide politisch motiviert gewesen und kulturell sehr interessiert. Das ist, glaube ich, eine Grundvoraussetzung, um so eine Art Filmfest zu organisieren. Es gab 1989 keine vergleichbaren öffentlichen Veranstaltungen auf kultureller Ebene. Es gab große Mängel bei der Kultur in der damaligen DDR. Wir wollten den Menschen eine Art Wertevermittlung, eine Anregung zum Nachdenken geben, damit sie sich mit den aktuellen Themen und der Situation in der DDR noch offener auseinander setzen. Wir haben auch versucht, wie so viele in der damaligen Kunstszene, mit kleinsten Nuancen den Zuschauer auf politische Themen aufmerksam zu machen und öffentliche Diskussionen anzuregen.
Portal e.V.: Waren Sie beide politisch aktiv in der DDR?
Jörg Polenz: Wir haben Kontakt aufgenommen zum Neuen Forum in Berlin 1989. Wir gehörten zu denen, die die DDR reformieren wollten, aber wir wollten die DDR nicht verlassen, sondern im eigenen Land Veränderungen schaffen. Wir wollten den besseren Sozialismus. Wir waren immer sehr stark daran Interessiert, hier im eigenen Land an Veränderungen mitzuwirken und uns aktiv daran zu beteiligen, ch wenn es bei uns mehr auf kulturpolitischer Ebene stattfand.Wir haben Filme gezielt ausgesucht,um etwas Wichtiges vermitteln zu können und auf bestimmte Dinge hinzuweisen.
Portal e.V.: Wie war Ihr Verhältnis bzw. Ihr Standpunkt zur damaligen DDR?
Andrej Krabbe: Also ich war desillusioniert und fertig mit der DDR. Dann kam der Sommer und es fing die ganze Fluchtwelle in den Westen an. Ich hatte mit einem Fernstudium begonnen im Herbst ’89, also hatte ich sowieso Pläne hier zu bleiben. Ich wollte unbedingt noch einmal studieren und einen Abschluss machen.
Portal e.V.: Waren Sie beide bei Montagsdemonstrationen dabei und haben Sie Gewalt gesehen oder erlebt ?
Jörg Polenz: Ja wir haben an Montagsdemonstrationen teilgenommen. Für uns alle war das neu, da die Polizei in der DDR doch immer so einen Freund-und-Helfer-Charakter hatte. Und dann steht da auf einmal eine Armee mit Schildern, Stöcken und Helmen am Rand des Geschehens. Da hatten wir schon etwas Angst und wollten nicht in Gewalt und Schlägereien verwickelt werden. Wir waren ja noch sehr jung, und wenn wir spürten, die Lage könnte ernst werden, sind wir damals immer weggerannt. Davor haben wir uns immer gescheut vor solchen Situationen. Wir wollten da mit marschieren, aber auf eine friedliche Art und Weise.
Andrej Krabbe: Es war uns wichtig bei den Demonstrationen dabei zu sein. Das Filmfest war ja dann erst einmal vorbei, ich hatte mich mit anderen Dingen beschäftigt. Ich bin bei einer Organisation gelandet, die nannte sich „Vereinigte Linke“, da war ich sehr motiviert das Land besser zu machen. Aber die Stimmen der Wiedervereinigung wurden immer lauter und so kam es ja dann auch.
Portal e.V.: Hatten Sie Beide mal Berührung mit der Stasi 1989?
Andrej Krabbe: In der Schulzeit hatte ich ein lustiges Erlebnis. Da haben wir linksradikale Aktionen gestartet mit Plakaten usw. innerhalb des Schulgebäudes. Wir wurden dann eines Tages abgeholt von der Schule zu Gesprächen und dann durften wir wieder an die Schule zurück. Es wurde eben immer reingeredet von den Lehrern, besonders das Schulamt funkte immer dazwischen. Wir waren 16 Jahre alt, so eine links ausgerichtete Kindergruppe die sich da an der Schule organisiert hatte.
Jörg Polenz: Beim Filmfest selbst, als das so brachial beendet wurde, tauchten Funktionäre der FDJ, SED-Leitungsfunktionäre und vielleicht sogar MFS-Leute auf. Es gab dann kleinere Gesprächsrunden mit den Leuten. Ob da Stasi mit dabei war, können wir so sicher gar nicht sagen. Auf jeden Fall können wir für uns sagen, wir wurden zu keiner Zeit abgeführt oder gar verhaftet von der Stasi. Es gab zweifelsfrei handfeste Repressalien, die die Leute eben auch erlebt haben in der DDR. Die Menschen, ist meine Meinung, haben aber auch auf irgend eine Weise diesen Konflikt gesucht. Jeder wusste ja Bescheid, was passiert wenn ich mich massiv und offen gegen das System der DDR auflehne. Ich will die Geschehnisse durch die Stasi damals auf keinen Fall rechtfertigen, ich meine nur, wenn ich damals das Rathaus von Herrn Berghofer gestürmt hätte, wäre mir klar gewesen was dann passiert. Es ist ja nicht so, das keiner wusste was ihm blüht, wenn er Dinge tut die ausdrücklich verboten waren in der DDR. Das ich weg muss aus der DDR war nie meine persönliche Haltung. Ich war immer für Veränderungen innerhalb des Landes und eigentlich hätte man der damaligen Partei zugehörig sein müssen, um sagen zu können, jetzt versuche ich hier direkt mit zu helfen etwas zu verändern. Ich habe damals versucht, als Kandidat Mitglied der SED zu werden, wurde aber nie aufgenommen. Das die DDR, wie ja oft behauptet wurde, ein Land voller Widerstandskämpfer und Opfer war, das halte ich für schlicht unsinnig und nicht wahrheitsgemäß. Das war nur ein ganz geringer Bruchteil von Leuten, die sich wirklich mit einem klaren Kopf engagiert haben für Veränderungen, die auch den Mund aufgemacht haben und über Themen offen gesprochen haben, obwohl sie wussten, das könnte für sie selbst in Gewalt und Verhaftung enden. Die meisten waren Mitläufer, die sehr auf sich bezogen handelten. Diese Leute gab es damals wie heute. Die wirklichen Märtyrer, die sich wirklich aufopfern für Menschen, sind verschwindend gering. Es sitzen auch heute nicht nur Leute in der Stadtverwaltung, die für das Gemeinwohl kämpfen. Da muss man einfach realistisch sein.
Andrej Krabbe: Und um dazu noch was zu ergänzen: Es gab Linke, es gab Antikommunisten, es gab Liberale. Man war mit normalen Lebenssorgen beschäftigt. Wir kamen eben aus so einer linken Schicht. Daran sieht man die vielschichtigen Interessen, die zum Teil sehr weit auseinander gingen. Jede Gruppe hat andere Ziele und Wünsche, wenn es um Veränderungen geht. Das ist bis heute so geblieben. Der Konsens zwischen den Parteien gestaltet sich ja heute auch immer schwieriger, da die bestehenden Interessenkonflikte immer größer werden. „Das in der Sowjetunion Millionen gemordet und verhungert sind…“, dass wurde in der DDR unter den Tisch gekehrt. Insofern hatte das auch viel mit dem eigenen Entwicklungsprozess zu tun.
Portal e.V.: Wie ist Ihre Haltung aus heutiger Sicht in Bezug auf das damalige und heutige Gesellschaftssystem?
Jörg Polenz: Es gibt ja so in dem Sinne eigentlich nicht „das Gesellschaftssystem“. Das ist ja erst mal nur ein Wort. Die Situation in der wir gelebt haben oder in der wir jetzt leben, ist ja von Menschen geschaffen. Da steckt von uns allen etwas drin. Das ist auch immer ein Spiegel von Menschengruppen, z B. wie diese Menschen gerne leben möchten. Es gibt ja immer gute und schlechte Seiten, Vor- und Nachteile. Der Staat hatte damals mehr Macht und es war mehr eine demokratische Diktatur als nur Demokratie. Heute kann man sein Leben viel freier gestalten, mit einer gewissen demokratischen Grundordnung. Damals fand ich es angenehmer, dass viele Intellektuelle und Künstler von politischen Werten mehr angetrieben waren. Das empfinde ich heute nicht mehr so. Heute kann man irgendwelchen Mist als Kunst verkaufen und bekommt dafür richtig Geld wenn man es geschickt anstellt. Das gefällt mir nicht, da fehlen mir ganz klar die Wertvorstellungen in der heutigen Gesellschaft.
2008, geführt von R. Wilde