Portal e.V.: Alexander, wo haben Sie bis zum Herbst 1989 gelebt?
Alexander Sidokhine: Bis zum Herbst 1989 habe ich in Moskau gelebt. Ich war damals noch nicht verheiratet und hatte noch keine Familie.
Portal e.V.: Was haben Sie gemacht? Waren Sie berufstätig? Welche Arbeit haben Sie ausgeführt?
Alexander Sidokhine: Ich habe mich unter anderem mit Restaurant-Wesen beschäftigt. Danach besaß ich ein Geschäft für Elektronik-Fachhandel in der WDNH (Gebäude Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft). Ich war ein gewöhnlicher russischer Geschäftsmann mit einem stabilen Verdienst.
Portal e.V.: Wo haben Sie studiert? Welche Qualifikation haben Sie erreicht?
Alexander Sidokhine: Ich habe im Moskauer Institut für Radioelektronik und Automatik studiert. Meinem Abschluss zufolge bin ich Elektronikingenieur und übe meinen Beruf auch sehr gern aus. Leider war es damals in Russland unvorstellbar, seinen Lebensunterhalt mit dieser Qualifikation zu verdienen, deshalb musste ich im Business-Bereich arbeiten.
Portal e.V.: Wann haben Sie die ersten Vorzeichen von politischen oder arbeitstechnischen Veränderungen in Ihrem Leben festgestellt?
Alexander Sidokhine: Als das totalitäre Regime in Russland (in der UdSSR) 1985 endete und Gorbatschow kam.
Portal e.V.: Welche Veränderung brachte das für Sie persönlich mit sich?
Alexander Sidokhine: Ich bekam die Erlaubnis Business zu betreiben. Einfach freier zu sein und frei in andere Länder reisen zu dürfen.
Portal e.V.: Haben Sie den Mauerfall als unerwartetes Ereignis wahrgenommen oder eher wie ein gesetzliches Resultat der demokratischen Veränderungen in Europa?
Alexander Sidokhine: Oh, ich sehe das als ein gesetzmäßiges Resultat der demokratischen Entwicklung in Europa und besonders im Warschauer Block an.
Portal e.V.: Was denken Sie, ist das Ende des Kalten Krieges ein Ergebnis der westlichen Diplomatie oder ein Zeichen für die Lebensunfähigkeit des Sozialismus als System?
Alexander Sidokhine: Ich denke, dass der Zusammenbruch des Sozialistischen Gesellschaftssystems unvermeidlich war. Meiner Meinung nach konnten die westlichen Demokratien nicht direkt auf den Fall der Berliner Mauer oder den Zerfall des Warschauer Blocks einwirken. Der Grund war eher die Haltlosigkeit des Sozialistischen Gesellschaftssystems an sich.
Portal e.V.: Welche Ereignisse sind Ihrer Meinung nach vergleichbar mit dem Fall der Berliner Mauer?
Alexander Sidokhine: Es hängt davon ab, ob ein Ereignis positiv oder negativ ist. Manche Ereignisse sind negativ und trotzdem wichtig. Zum Beispiel ist der Bau der Berliner Mauer genauso wichtig wie ihr Fall.
Portal e.V.: Konnte die Grenze zwischen BRD und DDR die Einigkeit des Deutschen Volkes zerstören?
Alexander Sidokhine: Natürlich nicht! Das waren nur 40 Jahre und das Deutsche Volk existiert schon Jahrhunderte. Diese Mauer teilte nur die politische Struktur, nicht die geistige.
Portal e.V.: Erinnern Sie sich oft an die DDR?
Alexander Sidokhine: Ich erinnere mich gar nicht.
Portal e.V.: Weicht der deutsche Lebensstil stark von dem Ihres Heimatlandes ab? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede haben Sie bemerkt?
Alexander Sidokhine: Gemeinsamkeiten gibt es nicht viele, aber kolossale Unterschiede. Deutschland ist viel fortgeschrittener in der Ökonomie, der sozialen Politik, der medizinischen Versorgung und besonders im Umgang mit nationalen Problemen. Die Menschen sind zivilisierter. In Russland herrscht im Vergleich zu Deutschland noch Steinzeit. Alles im Staat richtet sich nur nach dem sozialen Stand des Menschen, wie z.B. Gehalt, Beziehungen.
Portal e.V.: Wie empfinden Sie als Ausländer das Zusammenleben mit den Deutschen?
Alexander Sidokhine: Ausländer müssen sich in dem Land, in dem sie leben, integrieren. Die Sprache muss gelernt und die Gesetze verinnerlicht werden. So bilden sich keine „Staat im Staat“-Gruppen mit gesonderten Lebensräumen heraus, denn genau das ruft bei der deutschen Bevölkerung Zweifel und Vorurteile hervor.
Portal e.V.: Warum leben Sie jetzt in Dresden?
Alexander Sidokhine: In Dresden leben freundliche, kulturinteressierte Menschen, welche immer taktvoll und höflich sind. Außerdem ist Dresden eine ruhige, alte und sehr schöne Stadt. Es ist ein guter Ort um Kinder großzuziehen.
2008, geführt von V. Weingardt